«Die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit ist entscheidend»
- ralfkaminski.ny
- Apr 9, 2022
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Updated: Jun 8
Der russische Menschenrechtsaktivist David Isteev erzählte kürzlich am Queer-Talk «Verzaubert» in Zürich, wie er mit seinem Team gefährdete LGBTI*-Menschen aus Tschetschenien herausholt. Wir haben mit ihm über die Herausforderungen seiner Arbeit gesprochen, über die Folgen des Films «Welcome to Chechnya» und die zunehmend schwierige Lage in Russland.
Text: Ralf Kaminski
David, die meisten Menschen kennen dich und deine Arbeit aus dem HBO-Dokumentarfilm «Welcome to Chechnya». Seid ihr noch immer im Einsatz, um queere Menschen aus Tschetschenien zu retten?
Ja, daran hat sich seit den Dreharbeiten im Jahr 2018 nichts geändert.
Hat die internationale Aufmerksamkeit geholfen, die der Film euch gebracht hat? Oder ist einiges auch schwieriger geworden?
Das Ziel des Films war, die Weltöffentlichkeit auf die Zustände in Tschetschenien aufmerksam zu machen und zu zeigen, dass diese Probleme real sind. Dass queere Menschen dort festgesetzt, gefoltert und manchmal gar getötet werden, dass sie Hilfe brauchen. Das ist uns gelungen, denke ich; wir konnten einen guten Einblick in unsere Arbeit geben. Es hat unsere Gruppe und mich selbst aber auch für die Behörden sichtbarer gemacht, was unsere Einsätze nicht unbedingt erleichtert. Die Aufmerksamkeit hat also positive und negative Effekte.
Kannst du das noch etwas genauer ausführen?
Positiv ist sicher, dass wir durch den Film zusätzliche Unterstützung aus der internationalen Gemeinschaft bekommen haben. Und dass die Zustände in Tschetschenien nicht so leicht wieder unter den Teppich gekehrt werden können. Auf der anderen Seite hat es sich negativ auf unsere eigene Sicherheit ausgewirkt – und damit indirekt auch auf die der Menschen, denen wir zu helfen versuchen. Wir müssen vorsichtiger sein, wenn wir Lesben oder Schwule aus Tschetschenien evakuieren, die Prozesse sind komplizierter geworden. Und wir müssen aufpassen, dass wir nicht auf fabrizierte Hilfsgesuche reinfallen, mit denen die Behörden versuchen, uns eine Falle zu stellen, um mehr über uns, unsere Vorgehensweise oder den Aufenthalt von bereits geretteten Leuten zu erfahren.
Die tschetschenischen Behörden haben den Film also auch gesehen und reagieren nun darauf?
Ja, es gab eine öffentliche und eine nicht-öffentliche Reaktion. In der öffentlichen behaupteten sie, das sei alles erlogen und nichts als ausländische Propaganda, um dem Land zu schaden. Nicht-öffentlich versuchen sie derweil, unsere Arbeit zu erschweren. Es gibt ab und zu Leute, die nur so tun, als ob sie in Gefahr sind – aber wir haben unsere Wege, solche falschen Hilferufe zu identifizieren. Gleichzeitig gibt es aber auch queere Menschen, die von den Behörden eingesperrt, gefoltert und nur unter der Bedingung freigelassen wurden, dass sie ihnen helfen, andere Schwule zu identifizieren und uns, unsere Verbündeten und unsere Arbeitsprozesse zu enttarnen. Sie sind also gezwungen, denen zu helfen, obwohl sie selbst Hilfe bräuchten.

Überwiegen am Ende die positiven oder die negativen Effekte des Films?
Wir waren uns der möglichen negativen Konsequenzen von Anfang an bewusst, dennoch war es uns wichtig, diese Geschichte zu erzählen. Ich bereue das nicht.
Hat der Film etwas verändert an der Situation von LGBTI*-Menschen in Tschetschenien?
Auf jeden Fall. Seit der Film 2020 herausgekommen ist, erhalten wir keine Nachrichten mehr von Massenverhaftungen aus Tschetschenien. Er hat auch die queeren Menschen dort für das Thema sensibilisiert – sie realisieren, dass das, was sie erleben, nicht normal ist. Einige hat es ermutigt, offener aufzutreten und dieses Verhalten der Behörden zu bekämpfen. Das zeigt sich etwa an zwei Schwulen, die derzeit dort im Gefängnis sitzen und trotz aller Risiken zu ihrer Sexualität stehen. Das ist eine Veränderung, die bis vor kurzem noch schwer vorstellbar war.
Der Film hat also einige Queers ermutigt, aber wenig verändert am Verhalten der Behörden?
Das System in Tschetschenien ist äusserst korrupt. Häufig passieren diese Entführungen und Folterungen auch schlicht, um Geld von den Opfern oder ihren Familien zu erpressen. Wer ein halbwegs friedliches, sicheres Leben führen will, muss dafür bezahlen. Und es kann alle treffen, die in irgendeiner Form von der Norm abweichen, neben LGBTI*-Menschen etwa auch Nicht-Muslime oder Atheisten. Es ist ein systemisches Problem im Land.
Ist aus all dem gar eine queere Bewegung vor Ort entstanden, die versucht, Dinge zu verändern?
Nein, soweit ist es noch nicht. Aber es gibt Formen von Gemeinschaft und gegenseitiger Unterstützung. Darunter auch anonymisierte geschlossene Social-Media-Gruppen für LGBTI*. Jene, die sich dort bewegen, wissen nicht, wer sich tatsächlich hinter diesen Pseudonymen befindet. Aber es kommt vor, dass die Admins dieser Gruppen ihre Mitglieder vor gewissen Gefahren warnen, etwa wenn sie von Verhaftungen erfahren oder von kompromittierten Social-Media-Konten.

David Isteev (40) leitet die North Caucasus SOS Crisis Group, die sich seit 2017 darum bemüht, gefährdete LGBTI*-Menschen aus Tschetschenien zu retten und anderswo in Sicherheit neu anzusiedeln. Der frühere russische Investigativjournalist und TV-Produzent kam durch einen Freund zu seiner aktuellen Aufgabe und verdient auch seinen Lebensunterhalt damit. Er lebt zumindest teilweise in Russland; mehr will er aus Sicherheitsgründen nicht über sich und seine Situation verraten. Infos und Spenden: https://sksos.org/en oder direkt via PayPal.
Wie viele Menschen konntet ihr schon aus Tschetschenien holen?
Rund 300 in knapp fünf Jahren.
Im Film heisst es, dass die meisten in Kanada eine neue Heimat finden.
Damals war das so, aber die Situation hat sich verändert. Die meisten Leute kommen heute woanders unter, aber ich kann dazu aus Sicherheitsgründen nichts Genaueres sagen.
Wie schwierig ist es, Länder davon überzeugen, diese Menschen aufzunehmen?
Sehr schwierig, und es wird je länger je komplizierter. Viele Länder nehmen grundsätzlich keine Geflüchteten auf, anderen reicht auch der Beweis von Folter noch nicht, um Menschen als Flüchtlinge zu akzeptieren. Die Corona-Pandemie hat die Situation natürlich auch nicht erleichtert.
Könntet ihr mehr Menschen retten, wenn es mehr Länder gäbe, die sie aufnehmen?
Das kann man so nicht sagen. Wir schauen das immer von Fall zu Fall an: Wie ist die Lage? Welcher Art ist die Verfolgung? Wird sie auch in Zukunft anhalten? Manchmal reicht es, die Leute nach Moskau oder St. Petersburg in Sicherheit zu bringen. Manchmal müssen wir einen Platz im Ausland finden. Und wir helfen nicht nur bei der Flucht, sondern auch bei der Neuansiedlung, beim Einleben und der Jobsuche in der neuen Heimat. Einigen helfen wir zusätzlich bei den Sicherheitsvorkehrungen, denn es kommt ab und zu vor, dass es Entführungsversuche gibt, um sie nach Tschetschenien zurückzubringen. Solche Vergeltungsaktionen gibt es insbesondere, wenn Geflüchtete im Nachhinein noch Beschwerden oder Klagen in Tschetschenien einreichen. Dann können auch Verwandte im Land ins Visier der Behörden geraten. Viele der Geflüchteten müssen sich selbst in einem vermeintlich sicheren Drittland noch vorsehen und verstecken.
«Es ist jedes Mal eine Freude zu erleben, wie die Menschen, die wir aus Tschetschenien rausholen, in ihrer neuen Umgebung aufblühen und aller schlimmen Erlebnisse zum Trotz die Chance auf ein neues, besseres Leben nutzen.»
Habt ihr auch schon versucht, jemanden in der Schweiz unterzubringen?
Nein. Wir waren unter anderem auch mit Schweizer Behörden im Gespräch, spürten jedoch seitens der Schweiz keine Bereitschaft für solche Aufnahmen. Aber es gibt ein paar tschetschenische LGBTI*-Menschen, die auf anderem Weg in die Schweiz gekommen sind – eine der ersten direkten Zeugenaussagen über die schlimme Vorgänge in Tschetschenien erhielten wir 2017 von dort.
Wie finanziert ihr eure Arbeit?
Zu Beginn war unser Budget sehr klein – und schnell aufgebraucht. Dank des Films kamen viele neue Spenden, von Privatleuten aber auch von Stiftungen und anderen internationalen Institutionen. Die Finanzierung ist heute deutlich stabiler als zuvor, aber die Arbeit kostet viel und vorauszuplanen bleibt schwierig, weil wir es in Tschetschenien mit einer anhaltenden Notfallsituation zu tun haben. Es kann jederzeit passieren, dass wir statt 25 Hilfsanfragen plötzlich 100 haben.
Du begibst dich mit dieser Arbeit auch selbst in Gefahr. Was unternimmst du alles für deine persönliche Sicherheit?
Eine Menge, es ist Teil des Jobs. Unsere Arbeit und die Sicherheit unserer Schützlinge hängen davon ab, dass wir selbst sicher sind. Ich reise nur noch wenig, bewege mich kaum in den sozialen Medien, gebe meine Aufenthaltsorte und persönliche Lebenssituation nur zurückhaltend preis.
Was treibt dich an, diese Arbeit trotz aller Risiken zu machen?
Es hilft, wenn man Aufregung und Adrenalinschübe mag. (lacht) Und es ist jedes Mal eine Freude zu erleben, wie die Menschen, die wir aus Tschetschenien rausholen, in ihrer neuen Umgebung aufblühen und aller schlimmen Erlebnisse zum Trotz die Chance auf ein neues, besseres Leben nutzen. Das mitzuerleben, gibt mir immer wieder neue Motivation. Ausserdem erhoffe ich mir, dass wir mit unserer Arbeit dazu beitragen können, dass jene Leute, die verantwortlich sind für all das Leid, irgendwann die Konsequenzen tragen müssen. Letztlich will ich Ramsan Kadyrow, den Präsidenten Tschetscheniens, hinter Gittern sehen. Aber das ist vielleicht eine naive Hoffnung.

Der tschetschenische Diktator Ramsan Kadyrow in einem Filmausschnitt.
Auch in Russland wird die Situation für queere Menschen und Menschenrechtsorganisationen schwieriger. Könnt ihr noch ohne Probleme arbeiten?
Die Lage für die Zivilgesellschaft in Russland wird tatsächlich immer schlimmer. Kürzlich wurde sogar die Organisation Russian LGBT Network als «ausländischer Agent» gebrandmarkt, ebenso wie andere kleinere queere Organisationen im ganzen Land. Unsere Gruppe funktioniert unabhängig von allen diesen Organisationen, was uns im Moment noch einen gewissen Schutz bietet. Aber es ist klar, auch wir müssen mit Schwierigkeiten rechnen, deshalb ist es immer wichtig, auch noch einen Plan B und einen Plan C zu haben.
Wie lebt man derzeit als LGBTI* in Russland?
Im Zuge der politischen Entwicklung der letzten Jahre versuchen mehr und mehr, das Land zu verlassen. Viele haben wenig Hoffnung, dass sich die Lage in Russland für sie in näherer Zukunft wieder bessert. Viele sind verängstigt, und die Zahl der Anfragen über Auswanderungsmöglichkeiten ist stark gestiegen.
Kann man denn als Lesbe oder Schwuler wenigstens in grossen Städten wie Moskau oder St. Petersburg noch halbwegs normal leben?
Es ist dort noch immer etwas sicherer als anderswo im Land, wenn man mit seinem Aussehen oder seinem Lebensstil von der Norm abweicht. Aber ein freundliches Klima für LGBTI*-Menschen herrscht auch dort nicht.
«Laut der russischen Regierung gibt es zwei Schuldige, weshalb es dem Land und den Menschen nicht besonders gut geht: den Westen und die Schwulen.»
Weshalb tut man sich in Russland so schwer mit queeren Menschen?
Das hat viel mit Politik zu tun. Laut der russischen Regierung gibt es zwei Schuldige, weshalb es dem Land und den Menschen nicht besonders gut geht: den Westen und die Schwulen. Das wird den Leuten tagtäglich eingehämmert, es soll sie von den wahren Gründen ablenken: Korruption, manipulierte Wahlen, fatale politische Entscheidungen. Natürlich heisst das nicht, dass alle der Regierungspropaganda glauben – besonders junge Menschen, die via Internet besseren Zugang zu unabhängigen Informationen haben, können sich diesen Vorstellungen entziehen. Aber wenn sie allzu offen protestieren oder gar demonstrieren, landen sie hinter Gittern. Russische Menschen gelten als sehr geduldig. Doch irgendwann wird diese Geduld enden.
Sind die Gründe für die Ablehnung von LGBTI* in Tschetschenien dieselben? Oder spielen Kultur und Tradition dort eine grössere Rolle?
Auch dort werden Kultur und Tradition primär aus politischen Gründen vorgeschoben. Historisch stand der Islam sexuellen Beziehungen zwischen Männern sogar recht entspannt gegenüber. Und unter dem vorherigen Regime in Tschetschenien blieben schwule Männer vergleichsweise unbehelligt. Die Probleme begannen erst unter Kadyrow. Es geht schlicht um Machtpolitik. Die eigenen Bürgerinnen und Bürger zu verängstigen, ist der einzige Weg für ihn, an der Macht zu bleiben.
Was können wir im Westen tun, um zu helfen?
Sicherstellen, dass die Aufmerksamkeit für diese Ereignisse nicht nachlässt. Denn darauf wartet das Regime in Tschetschenien. Solange die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft da ist, wird es nur zurückhaltend agieren. Je mehr Leute Bescheid wissen, darüber sprechen, auf sozialen Medien anklagen, desto besser für LGBTI* in Tschetschenien. Ausserdem müssen wir sicherstellen, dass die Geflüchteten sicher sind – denn nur wenn sie in Sicherheit sind, können sie von ihrem Leid und all den Grausamkeiten berichten, die ihnen widerfahren sind. Diese Zeugenaussagen sind enorm wertvoll, sie haben politische Wirkung und führen zu wertvoller Unterstützung für unsere Arbeit.
Das Gespräch wurde noch vor dem Ukraine-Krieg mit Hilfe einer Dolmetscherin auf Englisch und Russisch geführt.
Heroische Hilfe für queere Menschen in Tschetschenien
Der HBO-Dokumentarfilm «Welcome to Chechnya» porträtiert russische LGBTI*-Hilfsorganisationen, die bedrohte Queers undercover aus Tschetschenien schmuggeln. Er ist oft schwer zu ertragen – und dennoch ein Hoffnungsschimmer.
Sie treffen sich in einem Fast-Food-Restaurant in Grosny, der Hauptstadt Tschetscheniens. Die zwei russischen LGBTI*-Aktivistinnen tun so, als wären sie Freundinnen der Familie, als wollten sie mit der jungen Frau aus gutem Hause einfach nur einkaufen gehen. In Wirklichkeit haben sie einen elaborierten Plan, wie sie die 21-jährige Lesbe, die von der eigenen Familie mehrfach bedroht wurde, aus dem Land schmuggeln wollen, mit mehreren Teams, falschen Papieren und einer Übergangswohnung an einem sichereren Ort.
Dank des HBO-Dokumentarfilms «Welcome to Chechnya» sind wir mit dabei, wie sie statt zum Einkaufen zum Flughafen fahren. Dort bekommt die junge Frau neue Kleidung, neue Papiere, ihr Handy wird zerstört – und dann heisst es Schlange stehen für die Grenzkontrolle, die wacklige, versteckte Handkamera immer mitten drin. Nervosität und Angst sind greifbar; werden die Beamten sie durchlassen? Tatsächlich wird sie kurz gestoppt, muss eine Frage beantworten, darf dann aber passieren. Doch noch ist sie nicht sicher – ihre Familie könnte sie finden und zurückholen. Sie darf deshalb die Übergangswohnung «irgendwo in Eurasien» nicht verlassen, bis die Aktivist_innen Papiere zur Ausreise in ein sicheres, westliches Land arrangiert haben. Nicht mal für einen kleinen Spaziergang. Helfer_innen bringen regelmässig Lebensmittel vorbei.
Helfer*innen riskieren viel
Die Flucht der jungen Lesbe ist eines von mehreren tschetschenischen Schicksalen, in die das Publikum des Films einen kleinen Einblick bekommt. Es sind Geschichten von Gewalt, Angst und Trauer – Geschichten, von denen wir nur erfahren dank dieser Aktivist_innen, die all ihre Energie einsetzen, um bedrohte LGBTI* aus der russischen Teilrepublik im Kaukasus rauszuholen. Und die dabei selbst viel riskieren; eine der porträtierten Helferinnen muss später selbst flüchten, weil sie ihres Lebens und ihrer Freiheit in Russland nicht mehr sicher sein kann.
Seit 2017 werden LGBTI*-Menschen in Tschetschenien systematisch verfolgt, entführt, festgenommen, gefoltert – und wohl auch getötet. Einige junge Männer, die wieder freigelassen wurden oder entkommen konnten, erzählen im Film ganz offen, was sie in Gefangenschaft durchgemacht haben, wie sie gefoltert wurden, um Namen anderer Schwuler zu verraten. Sie alle hoffen, mit Hilfe der russischen LGBTI*-Organisationen in den Westen ausreisen zu können, um dort ein neues Leben zu beginnen.
Im Zentrum des Films steht unter anderem David Isteev vom Russian LGBT Network, der feststellen muss, dass es immer schwieriger wird, Papiere für eine Ausreise in ein sicheres Land zu erhalten. Doch mit Hilfe westlicher Partnerorganisationen gelingt es ab und zu. Und so erleben wir auch die Geschichte jenes jungen Schwulen mit, dank dem die Weltöffentlichkeit 2017 von den furchtbaren Ereignissen in Tschetschenien erfuhr: Maxim Lapunov. Er war das erste Opfer, das sich getraute, seine Erlebnisse vor den Medien zu erzählen. Maxim, sein Partner und seine Familie leben heute in einem anderen Land.

Da die Identität der Betroffenen geschützt werden muss, arbeitet der Film mit einem technischen Kniff: Wir sehen zwar die echten Geflüchteten, doch wurden ihnen mit Hilfe eines Spezialverfahrens andere Gesichter gegeben, die völlig echt wirken. Auch bei Lapunov wird lange so verfahren, bis zur grossen Medienkonferenz im letzten Viertel des Films, wo sein reales Gesicht enthüllt wird, da man es durch diesen Auftritt ohnehin kennt.
Keine Besserung in Sicht
Obwohl es inzwischen ausreichend Beweise für das kriminelle Vorgehen gibt, ändert sich nichts. Die aggressiv queerfeindliche tschetschenische Führung streitet alles ab, und die russische Regierung unter Wladimir Putin, die wohl als einzige eine Bestrafung der Täter und eine Verbesserung der Situation durchsetzen könnte, tut nichts. Umso bewundernswerter ist der Einsatz der russischen Aktivist_innen – ein kleiner Hoffnungsschimmer in der Finsternis. Dank ihnen gibt es nun tatsächlich über 150 Betroffene, die im Ausland eine Chance auf ein besseres Leben haben, 44 von ihnen in Kanada.
Doch längst nicht alle Geschichten führen zu einem Happy End. Die junge Frau vom Anfang hält es nach monatelangem vergeblichem Warten auf Ausreisepapiere in der Übergangswohnung nicht mehr aus und verlässt diese eines Tages. Sie hinterlässt einzig eine telefonische Nachricht für David Isteev: Alles sei in Ordnung, man solle sich keine Sorgen machen, sie werde sich melden. Doch das tut sie nicht. Was mit ihr passiert ist, bleibt am Ende des Films ungewiss.
Regisseur David France hat diesbezüglich erfreuliche Nachrichten. Er ist zugeschaltet, als «Welcome to Chechnya» Ende September am Zurich Film Festival gezeigt wird, und berichtet, dass die junge Frau wieder aufgetaucht ist. Zwar gebe es noch keine Lösung bezüglich eines Visums, aber sie sei sicher und nicht bei ihrer Familie. Zudem freut er sich, dass sein Film auch in Russland wahrgenommen wird – er schaffte es in den Filmcharts bis auf Platz 6.
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